KoPrA II
Partizipative Praxisforschung in der Kommune

von Dietrich Harth

Die Beschreibung des vor einiger Zeit von der Bürgerstiftung Heidelberg vorgeschlagenen Forschungsprojekts Kooperative Prävention Altstadt (KoPrA I) ist hier unten unter dem Titel „Über den Versuch, Incivilities in der Heidelberger Altstadt einzudämmen und wirksame Präventionsschritte vorzubereiten“ nachzulesen. Wird dieses Vorhaben realisiert, so können die dadurch gewonnenen Erkenntnisse Grundlage und Ausgangspunkt für ein weiterführendes, äußerst innovatives Projekt werden, das wir hier mit dem Kürzel ‚KoPrA II‘ bezeichnen wollen.

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Über den Versuch, Incivilities in der Heidelberger Altstadt einzudämmen und wirksame Präventionsschritte vorzubereiten

Was sind ”Incivilities”?

Der Begriff soll hier alle Beeinträchtigungen der Lebensqualität in einer Gemeinde oder in einem Stadtteil bezeichnen, die auf rücksichtslose und mutwillig zerstörerische Verhaltensweisen zurückzuführen sind: auffälliger Lärm, Verunreinigung privater Hauszugänge, Vermüllung der Straßen und Plätze, VerkehrsRowdytum, gewalthaltige Konflikte (Schlägereien), Vandalismus, Straßenkriminalität. Von Incivilities sind die Stadtkerne zahlreicher Kommunen und insbesondere jene Altstadtbereiche betroffen, in denen Alkohol bis weit in die Nacht verkauft und konsumiert wird. Das Interesse des daran beteiligten Gastgewerbes ist wirtschaftlich gerechtfertigt, widerspricht aber dem Recht der Stadtteilbewohner auf ungestörte Nachtruhe und ein freundliches, sauberes Straßenbild.

Die Heidelberger Altstadt hat vor allem in der warmen Jahreszeit in besonderem Maß unter solchen Incivilities zu leiden. Die potentiellen Verursacher kommen aus dem Umland oder (anlässlich der Junggesellenparties) von weit her, sind daher kaum zu identifizieren, was die Einführung wirksamer präventiver Aktionsformen nicht leichter macht. Das sollte aber einer möglichst genauen Untersuchung der Besucherströme und frequenzen nach Alter und Herkunft sowie ihres Alkoholkonsums und Störverhaltens nicht im Wege stehen. Damit allein würde man natürlich noch keine eindämmenden Effekte erzielen können. Prävention lässt sich jedoch nur dann erfolgreich umsetzen, wenn ihre Maßnahmen an die Sozial und Verhaltensprofile der Akteure angepasst werden. Mögliche Präventionsformen werden in der einschlägigen Literatur manchmal nach der Orientierung an den Tätern, an den Opfern und nach den sich bietenden Tatgelegenheiten unterschieden. Jugendliche reagieren in anderer Weise auf erklärende Interventionen als Erwachsene, und die Stadtteilbewohner vor Incivilities zu schützen hängt von anderen Bedingungen ab, als die Prävention gewalttätiger Konflikte zwischen alkoholisierten Partygängern. So krude solche Unterscheidungen auch sein mögen, sie wollen hier lediglich andeuten, dass es die Notwendigkeit gibt, ihnen mit empirischanalytischen Mitteln auf den Grund zu gehen, wenn langfristig wirksame Präventionsprogramme in die Tat umgesetzt werden sollen.

Die Initiative der Bürgerstiftung Heidelberg

Die Bürgerstiftung HD hat im Jahr 2012 dem städtischen Ordnungsamt unter BM Erichson vorgeschlagen, den schon lange schwelenden Nutzungskonflikten zwischen den Bewohnern des Altstadtzentrums und den dort vorübergehend sich aufhaltenden Gästen und Gastgebern mit unkonventionellen Mitteln zu Leibe zu rücken.

In mehreren über das Jahr verteilten Gesprächsrunden, an denen neben dem Ordnungsamt auch Jugendamt und Polizei beteiligt waren, kam der Gedanke auf, zunächst einmal die komplexe Partyszene in der Altstadt – frei nach dem Motto Wissen schafft Stadt – nach allen Regeln sozialwissenschaftlicher Kunst untersuchen zu lassen. Dieses Vorgehen wurde von allen Gesprächsteilnehmern als sinnvoll angesehen, zumal die bisher ermittelte statistische Datenlage lückenhaft ist und gelegentliche Aufzeichnungen über den Verlauf und das Ausmaß der Störungen nicht methodisch durchgeführt, geschweige denn systematisch ausgewertet werden konnten. Die wissenschaftliche Analyse sollte, so war die Hoffnung, am Ende zu wirksamen Handlungsempfehlungen führen.

Der Vorstand der Bürgerstiftung hat daraufhin eine wissenschaftlich besetzte Arbeitsgruppe einberufen, die sich auf die Entwicklung eines zur Aufgabe passenden interdisziplinären Forschungsdesigns konzentrierte. Beteiligt waren die universitären Institute der Kriminologie und der Soziologe sowie die Sozialarbeitswissenschaft der SRHFachhochschule.

Die geplanten Forschungen sollten, das war Konsens in der Arbeitsgruppe, über die bloße Registrierung der Störungen und ihrer Ursachen hinausgehen. Die Zielvorstellungen orientierten sich vielmehr an solchen Grundproblemen, die auch zu einer allgemeinen Verbesserung des Qualitätsmanagements in der Kommune beitragen können, incl. Vorbereitung eines Präventionsprogramms. Der geplante Forschungsprozess sollte aus diesem Grund quantitative und qualitative Analysen umfassen. Mithin ging es darum, ihn in drei methodisch aufeinander bezogenen Untersuchungsschritten zu entfalten, deren detailliertere Beschreibung unten in den Anhängen nachzulesen ist (Anhang 1):

  1. anonymisierte Fragebogenaktion (Anhang 2);
  2. leitfadengestützte (Experten)Interviews;
  3. teilnehmende Beobachtung in der Szene (Anhang 3).

Ohne hinreichende Finanzierung ist ein solches Vorhaben, das auf einen Zeitrahmen von etwa 12 Monaten angewiesen ist, nicht zu verwirklichen. Denn es geht dabei um die Entwicklung stadtteil und szenebezogener, also neuartiger Fragebögen; um die Schulung und Einweisung der Interviewer und teilnehmenden Beobachter; um die Transkription einer großen Zahl protokollierter Abläufe sowie um Planung und Durchführung digitalisierter Evaluierungsverfahren und schließlich um die Abfassung des die Resultate im Hinblick auf Handlungsempfehlungen zusammenfassenden Abschlussberichts. Die geschätzten Kosten lagen bei 80.000 bis 85.000 Euro. Das Forschungsvorhaben sollte von der Bürgerstiftung getragen, aber von der Stadt finanziert werden. Wissenschaftliche Projektseminare und die Partizipation von Studierenden waren geplant; alles in allem ein sowohl die Stadt und die Bürger als auch die Wissenschaft förderndes Vorhaben.

Nachahmenswertes aus Freiburg

Von den Erfahrungen anderer Kommunen zu lernen, war für die Bürgerstiftung Heidelberg Anlass, mit dem „Freiburger Modellprojekt zur Etablierung einer Kommunalen Alkoholpolitik“ Kontakt aufzunehmen. Ein Mitglied des Stiftungsvorstands besuchte darüber hinaus die von den Freiburgern ausgerichtete Fachtagung über Ritualisierungen des Alkoholkonsums, um die im Modellprojekt aktiven Personen kennen zu lernen. Schließlich ludt die Bürgerstiftung im Oktober 2012 Vertreter der von der Stadt Freiburg i.Br. getragenen Präventionsmodelle zu einer öffentlichen Veranstaltung in das Heidelberger Rathaus ein und machte mit einer breit gestreuten Werbekampagne auf dieses Ereignis aufmerksam. Auch wenn der Publikumszuspruch enttäuschend war, im Laufe der an den Vortrag anschließenden Diskussion schien es, als ob die maßgebenden Gruppen von der Stadtverwaltung bis hin zur Bürgerinitiative LindA (Leben in der Altstadt) eine empirischsozialwissenschaftliche Untersuchung der Heidelberger Altstadtprobleme begrüßen würden.

Es kann nicht schaden, an dieser Stelle in aller Kürze die Kernstücke des Freiburger Präventionsprogramms zu beschreiben, zumal dieses eine Reihe nachahmenswerter Rezepte zu bieten hat und es keinen vernünftigen Grund gibt, sich nicht damit auseinander zu setzen (www.freiburg.de/pb/,Lde/238488.html). Seit 2008 arbeitet die Stadt daran, die Alkohol und damit verquickten Gewaltprobleme der Straße in den Griff zu bekommen. Eine eigens zu diesem Zweck gegründete Koordinationsstelle handelt nach dem Motto: Prävention riskanten Alkoholkonsums ist Sache der Kommunalpolitik. Entsprechend vielfältig sind die in enger Kooperation mit der Suchthilfe sowie dem Sozial und Jugendamt entwickelten Aktionsformen. Diese zielen in erster Linie auf Jugendliche und junge Erwachsene, sprechen darüber hinaus aber auch Ältere an, die sich aktiv im Präventionsprogramm engagieren wollen. Zu den konkreten, bereits evaluierten Aktionsformen gehören unter anderem:

  • Suchtberatung am Stehtisch in der Szene
  • PeerBeraterInnen in der PartyZone
  • Alkoholpolitik vor Ort
  • alkoholfreie Parties
  • alkoholfreie „Cocktails“
  • alkoholfreie „Bar“
  • Engagement im Stadtteil: NachtwanderInnen & FestbegleiterInnen

Übrigens diskutieren die Initiatoren des Freiburger Modellprojekts z.Zt. über die Frage, auf welche Weise und in welchem Maß die Sozialwissenschaften an der Weiterentwicklung ihres Präventionsprogramms beteiligt werden können.

Das Scheitern der Heidelberger Initiative

Anfang Dezember 2012, noch vor den Haushaltsberatungen im Gemeinderat, wurden die Bemühungen der Bürgerstiftung zunichte gemacht. In einem Schreiben teilte BM Erichson mit, die Prüfung der für die Untersuchung veranschlagten Kosten sei negativ ausgefallen, es handle sind nicht um „ein sinnvolles Projekt im Sinne der KostenNutzenEffektivität“.